Wozu Sportgeschichte?
 
 
 
Wer so viel Kraft in die Erforschung und Darstellung der Sportgeschichte investiert wie das Chemnitzer Schloßbergmuseum in den letzten Jahren, der tut dies nicht ohne Blick auf die gegenwärtige Situation. Für ein Stadtmuseum sind Ausstellungen ja kein Selbstzweck, kein freies Ausleben der historischen Neugier; sie sind vielmehr ein Beitrag zum Leben der Stadt an einem bestimmten Zeitpunkt. Wer in Chemnitz ein so emotionsgeladenes Thema wie Sport aufgreift, muß wissen, was er will und was eine solche Ausstellung heute bedeuten kann.
 

Unsere Botschaft ist klar:

1) Das Reden von der Sportstadt Chemnitz ist keine Eintagsfliege, keine Selbstüberheblichkeit und kein PR-Trick. Chemnitz zählt seit weit über 100 Jahren stets zu den im Turnen und im Sport führenden deutschen Großstädten.
 

2) Die acht Jahre seit dem Ende der DDR sind eine zu kurze Zeit, um aus historischem Abstand ein Gesamtbild des Karl-Marx-Städter Sportlebens entwickeln oder Einzelprobleme (z. B. Doping) angemessen darstellen zu können. Doch diese acht Jahre mit ihren dramatischen Veränderungen und rasanten Entwicklungen haben uns genügend Distanz gebracht, um uns ernsthaft und ausführlich mit dem Sport in der DDR  beschäftigen zu können. Dieses Vorhaben war daher ein Glied in einer Serie von Ausstellungen (wie 1997 zu den politischen  Plakaten und zur Architektur der 50er Jahre), mit denen das Schloßbergmuseum Chemnitz wichtige Einzelthemen der Geschichte von Karl-Marx-Stadt wissenschaftlich bearbeitet und einer breiten Öffentlichkeit vorstellt - damit jeder die Gelegenheit hat, sich selbst mit der  jüngeren Geschichte eingehend auseinanderzusetzen.
 

3) Chemnitz mußte in den letzten Jahren eine beispiellose Deindustriealisierung hinnehmen: In wenigen Jahren gingen rund 85 % der Industriearbeitsplätze verloren. Dies ist schwer verkraftbar für eine Stadt, die bei Produktionsvolumen und Exportreichweite stets zu den bedeutenden mitteleuropäischen Industriestädten gehört hat, die auch zu den Vorreitern der Fabrik industrialisierung in Deutschland zählt - vor allem dann, wenn deren Bevölkerung daraus einen Gutteil der Identifikation und des Selbstbewußtseins geschöpft hat. In einer Wirtschafts- und Identitätskrise laufen einzelne Lebensbereiche (wie z. B. der Sport) Gefahr, mit Ansprüchen überladen zu werden. Das Schloßbergmuseum versucht daher eine wohl überlegte Gratwanderung. 

    Es schlägt sich nicht auf die Seite derer, die den Zusammenbruch des DDR-Sportsystems nicht verwinden können und die mit tiefer Resignation auf Gegenwart und Zukunft des  Chemnitzer Sports blicken. 

    Es steht aber auch nicht auf der Seite derer, die in der aktuellen Krise ihr ganzes Heil im Sport suchen. Man könnte natürlich die Medaillen von Atlanta und Nagano zusammenzählen und dann voller Stolz fragen, wieviele andere Städte der Welt fünf olympische Medaillen vorweisen können. Oder - noch drastischer - man könnte die Stadt Chemnitz in der Länderwertung von Atlanta plazieren und würde dann im Medaillenspiegel auf Platz 28 landen. Wer seine Befriedigung darin findet, von diesem "Rang" auf 60 Nationen wie Schweden, Großbritannien oder Österreich herabzublicken, der wird von dieser Homepage enttäuscht sein, denn sie ist nicht als Ruhmesgalerie angelegt, sondern blickt nüchtern und neugierig in die Vergangenheit.

 
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